Hochmut und Bescheidenheit
Betrachtung östlicher und westlicher
Bildkultur bis zum 16. Jahrhundert
kathrin doepner
9/2008
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Christlich-Abendländische Buchmalerei
2.1 Zwischen Mittelalter und Renaissance
2.2 Vom Handwerker zum Künstler
2.3 Rationalität und Wirklichkeit
2.4 Perspektive und Selbstbild
3 Islamische Buchmalerei
3.1 Von Bagdad nach Istanbul
3.2. Hingabe und Vorbild
3.3 Geschichte und Imagination
3.4 Aufsicht und Ordnung
4 Beispiel: Das «Buch Quintessenz der Historien» Eine osmanisch/persische Handschrift des 16. Jh.
4.1 Beschreibung
4.2 Lokalisierung
4.3 Besonderheit und Zeitzeugnis
5 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anlagen: Abbildungen zur Handschrift Das Buch Quintessenz
der Historien: Blatt 15b, 16b, 4b, 15a, 17a
1 Einleitung
Entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung der Buchmalerei war der Übergang von der Schriftrolle zum Kodex im 4. Jh. n. Chr. Mit der Ausbreitung der «stillen» Lektüre während des Mittelalters und der damit verbundenen Konzentration auf den Sehsinn, übernimmt das sinnliche Begreifen mittels Visualisierung eine tragende Rolle. Die Buchmalerei ist sowohl Zeugnis kultureller Entwicklungen als auch jeweils ein historisches Dokument.
Intention dieser Arbeit ist die Beschäftigung mit der Geschichte und Entwicklung der Buchillustration, ihrer Funktion und Wirkungsweise im 16. Jahrhundert sowie der Frage nach den Gründen der unterschiedlichen Darstellungsweise oder auch den Ähnlichkeiten in Orient und Okzident. Das Bild als Informationsträger hat seine Wurzeln tief in den oralen, illiteralen Gesellschaftsformen. Das Bild macht etwas sichtbar, was es selbst nicht ist: Diese Tatsache macht seine Faszination aus, enthält aber schon das Konfliktpotential, welches seinen Niederschlag im 8./9. Jh. im byzantinischen Bilderstreit (Ikonoklasmus) findet. Auf der westlichen Seite dominiert eine von Aristoteles (384-322 v. Chr.) geprägte Auffassung von Kunst als Mimesis, also von Nachahmung oder anschaulicher Darstellung der Natur. Dieser, auf die Antike zurückgehenden, «heidnischen» Bildauffassung wird im alttestamentarischen vierten Gebot Grenzen gesetzt.
«Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben am Himmel, noch von dem was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!» .
Das Bilderverbot im Islam beruft sich nicht auf den Koran, sondern auf den Hadith, die orthodoxe Auslegung des Glaubens des Propheten Mohammed, die in der islamischen Gesellschaft, zusammen mit dem Koran, Gesetzeskraft erlangte. Dort ist zu lesen: « Hütet euch darzustellen den Herrn oder den Menschen, und malt nur Bäume, Blumen und leblose Dinge.» Gerade die osmanische Miniaturmalerei zeigt jedoch, auf welch´ phantasievolle Weise dieses Gebot kompensiert, beziehungsweise kreativ interpretiert wurde. Ihr Selbstschutz liegt in der Darstellung nicht-religiöser Motive und ihrer Legitimation als «Buchkunst».
Der Ausklang des europäischen Mittelalters, die Renaissance in Italien und ein expandierendes osmanisches Reich, das weit nach Europa, Asien und Afrika hineinreicht, bilden den Hintergrund für das Nachdenken über die Unterschiede westlicher und östlicher Bildkultur. Gegenseitige Faszination wie auch große Skepsis und Ressentiments bestimmen die Begegnungen zwischen Ost und West. Die Renaissancebewegung mit ihren Leitbildern Individualismus, Rationalität, und Vernunft verhielt sich selbstbewusst und häufig überlegen gegenüber vermeintlichen ´Barbarentum´ und vorgeblicher ´Primitivität´. In der östlichen Welt herrschten nach der Zerstörung des byzantinischen Reichs Abgrenzungs- und Eroberungstendenzen zeitgleich mit der Förderung weltlicher Hofkunst durch das Sultanat.
Miniaturmalerei gibt es sowohl im westlichen wie im östlichen Kulturkreis. Als konkretes Beispiel für eine Bilderzählung eine osmanische Handschrift zu wählen und kein Werk der Renaissance zu beschreiben, begründet sich in der Konzentration auf einen außergewöhnlichen Bilderzyklus und in der Annahme, dass die Werke der Renaissance - was die wesentlichen Faktoren der Sehgewohnheit und Rezeption betrifft – relativ gut bekannt sind. Die osmanischen Miniaturen sind in Europa weitaus weniger als westeuropäische Beispiele erforscht, es fehlte ihnen lange Zeit die nötige Anerkennung. Orhan Pamuk behandelt den Konflikt der osmanischen Miniaturmalerei mit den Einflüssen der Renaissance auf literarischer Ebene liebevoll und detailgenau in seinem Roman «Rot ist mein Name», der Inspiration für diese Arbeit ist.
2 Christlich-Abendländische Buchmalerei
Die christliche Religion ist eine Buchreligion. Die Kunst des frühen Mittelalters ist die Kunst der Kirche und begreift sich als künstlerisches Erbe der Antike. Ihre Aufgaben sind missionarischer und volksbildnerischer Art, ihre Werke dienen der Repräsentation. Das Wort hat Vorrang, das Bild fungiert als Gedächtnisstütze und einprägsames Zeichen, bis es, mit der Einführung der perspektivisch-´realen´ Darstellungsweise im Übergang zur Neuzeit, seinen symbolischen Charakter verliert und sich damit maßgeblich von der östlichen Bildauffassung entfernt.
2.1 Zwischen Mittelalter und Renaissance
Nachdem bereits aus der Spätantike Buchillustrationen bekannt sind, stellt die insulare und merowingische Buchmalerei (6.-9. Jh.) in England, Frankreich und Irland einen Höhepunkt der europäischen Buchkunst dar. Schreiber und Maler sind häufig ein und dieselbe Person. In Ottonischer und Karolingischer Zeit (9. – 11. Jh.) bilden sich bedeutende Buchmalereizentren in Tours, Reims, Metz, Reichenau und St. Gallen aus. Die Produktion wandert von den Klöstern an die Königshöfe. Karl der Große versammelt italienische, griechische und syrische Künstler am Hof, die durch ihre hoch entwickelte Malkunst Stil und Entwicklung der deutschen Buchmalerei beeinflussen. Die darauf folgende romanische Buchmalerei (11.-13. Jh.) bildet einen überregionalen, europäischen Stil aus, in der die Produktion des Buchs für die geistliche Gemeinschaft (Höhepunkt der Bibelillustrationen) vorrangig bleibt. Im 10. und 11. Jh. entwickelt sich in Spanien eine farbige, volksnahe sehr dekorative eigene Richtung der Buchkunst. Gleichzeitig erlebt die englische Buchmalerei eine Blütezeit, die sich durch einen illusionistischen Stil auszeichnet. Durch Klosterneugründungen und zunehmenden Bildungseifer im 12. Jh. wächst die Nachfrage und Produktion von Handschriften, ihre Herstellung wird von bürgerlichen Werkstätten übernommen. Im 13. Jh. erlebt die französische Buchmalerei ihren Höhepunkt, ihr Einfluss, auch auf die nordischen Miniaturen, ist nachhaltig. Die sich in Frankreich und England entfaltende, gotische Buchmalerei (zweite Hälfte des 12. Jh.), die sich im deutschen Kulturraum erst später durchsetzt (ca. 1300), zeichnete sich durch einen weichen, «barocken» Stil aus. Spätgotische Miniaturen ähneln Tafelbildern im Buchformat. Der byzantinische Einfluss in der deutschen Buchmalerei verstärkt sich noch einmal nach der Eroberung Konstantinopels und den Kreuzzügen. Seit dem 14. Jh. prägen Werke des neuen Naturalismus die Entwicklung, die Einführung des Papiers und des Holzschnitts beeinflussen Produktion und Stil. Neben den Anleihen an der niederländischen Buchkunst dringen im 15. Jahrhundert erste Ausläufer der Renaissancekunst in die Buchmalerei ein. Die Bedeutung von Handschriften nimmt jedoch durch die Einführung des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jh. zunehmend ab.
2.2 Vom Handwerker zum Künstler
«Und wenn er seinen Namen daraufsetzt, weist er damit nicht auch auf die eigene Unzulänglichkeit hin?» (S. 95)
Mit der Entstehung der Universitäten lösen im 13. Jh. städtische Buchwerkstätten die klösterlichen Skriptorien ab, die Arbeit liegt nun in den Händen von beruflichen Laien-Illuminatoren, die in Zünften organisiert sind. In den botteghe des Quattrocento arbeiten Maler, die, nach Vorlage durch Musterbücher, nur einen begrenzten Spielraum haben, und zahlreiche Gehilfen, die für die untergeordneten Arbeiten und Ausschmückung zuständig sind.
Das Künstlertum der Renaissance rekrutiert sich überwiegend aus städtischen Handwerker- und Ladenbesitzerfamilien. Die Renaissance- Bewegung, die sich mit der ´Wiederbelebung´ der Antike befasst und deren humanistische Vertreter aus der Oberschicht stammen (Patrizier, Prälaten und Fürsten), legen ihr Augenmerk auf die studia humanitatis, nicht auf die artes mechanicae. Diese Tatsache führt zu einem geringen Ansehen der Künstler unter den Intellektuellen, welche diesen als «Handwerkern» gleichwertigen Ruhm nicht zugestehen wollen. Das dennoch steigende Selbstbewusstsein der Renaissance- Künstler beruht nicht zuletzt auf der Tatsache, mit der mathematischen Theorie der Perspektive Teil der wissenschaftlichen Welt zu sein. Nach der Gründung der Kunstakademie (Accademia del disegno), die den Status der Künstler über dem der Handwerker sichert, wurden diese in der zweiten Hälfte des 16. Jh. vom Zunftzwang befreit. Buchmalerei entwickelt sich als kommerziell orientierter, marktabhängiger Beruf, die Arbeitsteilung weicht nach und nach der Profilierung einer einzigen Person: Der Künstler, als Verkörperung des individualistischen, durch Konkurrenz und Geldökonomie geprägten Geistes, löst das kollektiv ausgerichtete Bewusstsein des Mittelalters ab. Der Maler signiert seine Werke und bleibt nicht länger anonym.
Hauptauftraggeber ist zunächst nach wie vor die Kirche, hinzu kommen profane Aufgaben wie die neu entdeckte Portraitmalerei. Die Historienbibel und die Chroniken der Länder und Städte übertreffen die Beliebtheit der Weltchronik. Die Handschriften waren nach Einsetzen des Buchdrucks nur noch für drei Gebiete zuständig: Prachtcodices auf Pergament (liturgische Handschriften und Gebetbücher), die aufgrund ihrer intensiven Illustrierung nicht druckbar waren, geheime Informationen (Militär, Waffen, alchimistische oder kabbalistische Texte) sowie große Bildwerke, deren Illustrationen sich nicht oder nur sehr kostenintensiv per Holzschnitt wiedergeben lassen.
2.3 Rationalität und Wirklichkeit
«Sie malen, was sie sehen, wir aber was wir anschauen.» (S. 238)
Das Zeitalter von ratio und virtù grenzt sich vom Mittelalter ab, indem es den Verstand und die Wissenschaft a priori setzt. Das Ideal der Renaissance ist die Nachahmung der Natur unter wissenschaftlichen und didaktischen Gesichts-punkten bei gleichzeitigem Anspruch auf übernatürliche Vollkommenheit. Dazu zählt vorrangig das Befassen mit der äußeren Erscheinung der Dinge, das Bemühen um Körperlichkeit und Dreidimensionalität, der Einzug des «Realismus» in die Kunst. Das Bild verliert seine symbolische Funktion und wird zum Abbild der Welt, gleichsam die Welt selbst. Das Subjekt, der einzelne Mensch, der menschliche Körper rücken in den Mittelpunkt der Wahrnehmung. Gleichzeitig erlangt die «Schönheit», die sich häufig ins Magische entwickelt und mystifiziert wird, einen eigenen Stellenwert neben dem «Guten» und der «Weisheit». Während der Renaissance gleichen sich Buch- und Wandmalerei der Tafelmalerei an, es entstehen die Ölmalerei und der einzelne Bildträger. Die Bildebene wird sekundär, die Zweidimensionalität der Buchseite wird in Frage gestellt und damit die Existenzberechtigung der Buchmalerei. Das Bild emanzipiert sich von der Schrift, Text und Bild stehen nicht mehr in Verbindung zueinander, der fixierende Blick hat den wandernden abgelöst. Schauen und Lesen sind zu zwei unterschiedliche Tätigkeiten geworden. Der Betrachter wird zum subjektiven Augenzeugen, er bleibt nicht mehr Außenstehender sondern betrachtet sich als Teil der dargestellten Welt.
2.4 Perspektive und Selbstbild
«Wie jeder weiß, haben …die Maler ...die Welt wie heute die fränkischen Ungläubigen gesehen und alles, den Vagabunden mit dem Straßenköter und den Sellerie auf der Auslage, vom eigenen Standpunkt aus betrachtet und gemalt.»
(S. 102)
Da die Einführung der Perspektive als entscheidender Einschnitt in die visuelle Kultur gelten kann, wird sich dieses Kapitel vorrangig diesem Thema widmen.
Nach ersten Versuchen in der Antike war der Begriff Perspektive auch schon im Mittelalter bekannt. Filipo Brunelleschi (1377-1446) erfindet um 1420 die costruzione legittima für die Kunst, Leon Battista Alberti (1404-1472) definiert sie im frühen 15. Jh. und revolutioniert so die Sehgewohnheiten der nachfolgenden Generationen. Die künstliche Perspektive stellt sich als unfehlbare, objektive Darstellungsmethode in der Welt vor, wird zum Dogma indem sie sich als «System zur automatischen und mechanischen Produktion von Wahrheit, sei es über die materielle oder geistige Welt.» behauptet. Die Rationalität der Perspektive bestimmt den Bildaufbau und damit den Wahrnehmungsraum. Durch den subjektiven Blick des Malers werden Bilder zu Projektionen des Betrachters, seine Position wird zum Standpunkt, die Wahrnehmung selbst zum Maßstab der Darstellung. Zugleich mit dem blickenden Subjekt wird der Blick selbst ins Bild gebracht, der Fluchtpunkt im Bild wird symbolischer und gleichzeitig unerreichbarer Ort für den Betrachter. Vom theozentrischen Weltbild des Mittelalters befreit, wird die Perspektive Ausdruck des anthropozentrischen Denkens der Neuzeit. Zentralperspektive und Tiefenräumlichkeit, auch durch Einsatz der Luft- und Farbperspektive sowie der neu entdeckte Horizont werden entscheidende Gestaltungsmittel. Bewegung, Handlungen, Gesten und Mimik werden allmählich zunehmend realistischer wiedergegeben: Das Bild wird zur Momentaufnahme. Seit dem 15. Jh. spielt auch die Bildbühne, der Raum, die Architektur und die Landschaft eine tragende Rolle. In der 2. Hälfte des 15. Jh. werden die noch stereotypen Fernblicke durch Landschaftsausschnitte oder Interieurs ersetzt, die inhaltlich dem Text entsprechen. Mit zunehmender perspektivischer Sicherheit werden später auch Verbindungen zwischen Drinnen und Draußen, Figuren und Raum umgesetzt.
3 Islamische Buchmalerei
Die islamische Bildkunst kennt kein Gottesbild und unterscheidet sich maßgeblich von der abendländischen Malerei, indem sie illusionsstiftende Effekte zur Herstellung von ´Realität´, wie vor allem die Perspektive, vermeidet. Gott offenbart sich in der Schrift, die sich als Abbild des Wortes – und lange vor dem Bild- mittels Arabeske und Kalligraphie zu höchster Ästhetik entwickelt hat. Bilder sind Gleichnis, hinweisendes Zeichen, Sinnbild und bleiben vorrangig Nach-erzählungen, die eng an den Text gebunden sind. Hauptmerkmal der islamischen Bildkultur, die sich gegen den byzantinischen Bildkult behaupten musste, ist ihr Entstehen aus einer Fusion verschiedener Kulturströmungen, die schwer zu differenzieren sind.
3.1 Von Bagdad nach Istanbul
Innerhalb der östlichen Bildkultur die Spuren der islamischen und speziell türkisch-osmanischen Buchmalerei zurückzuverfolgen, gestaltet sich aufgrund der Weitläufigkeit der Territorien asiatischer Herrschaftsbewegungen schwierig. Uneins ist man sich in der Forschung auch darüber, wo die Wurzeln der Buchmalerei zu verorten sind. Kühnel beginnt mit den Wandgemälden der arabischen Umayyaden (661-750, Sitz in Damaskus), Atasoy und Çağman erwähnen die ältesten Buchillustrationen aus dem Reich des Turkvolks der Uiguren (heute chinesisches Xingjang, Ostturkestan, 745- 840). Abhängig von den herrschenden Dynastien und ihren Machtzentren bilden sich nacheinander oder zeitgleich verschiedene Schulen der Buchkunst in Bagdad (750-1258, Dynastie der Abbasiden), Kairo (909-1171, Dynastie der Fatimiden), Mossul und Damaskus. Auch unter der Herrschaft der Seldschuken im 11. und 12. Jh. sind noch Spuren der türkisch-uigurischen Kunst nachzuvollziehen. Die Miniaturen dienten bis dahin vorzugsweise der Ergänzung wissenschaftlicher Werke, aber allmählich gewinnt der Unterhaltungswert von Illustrationen zunehmend Bedeutung und es entstehen rein der Schaulust dienende Prachtbände. Die fürstlichen Auftraggeber lassen kostbare Handschriften für ihre Bibliotheken anfertigen. Die Buchmalerei findet mit ihrer Aufgabe der poetischen Illustration zu sich selbst, wird höfische Kunst und gewinnt zusehends an Bedeutung.
Durch den Einfall der Mongolen in Bagdad 1258 wird die Entwicklung islamischer Bildkunst vorerst unterbrochen. Ostasiatische Elemente wie Naturnähe und Erdgebundenheit, die dem islamischen Bildverständnis fremd waren, setzen sich in der Bildgestaltung durch. Der Schwerpunkt der Buchmalerei verlagert sich vom Irak in den Iran, es entwickeln sich verschiedene Zentren der mongolisch geprägten Buchkunst in den Orten Tâbriz, Samarkand, Damaskus, Shirâz und Herât. Erst nach Ende der mongolischen Herrschaft entfaltet sich seit dem Ende des 14. Jh. wieder eine eigene, islamisch geprägte Buchkunst, die ihr Zentrum in Persien hat. Zeitgleich breitet sich die Osmanische Dynastie, die im 13. Jh. als bescheidenes Fürstentum in Anatolien entstand, bis nach Kleinasien, Arabien, Nordafrika und den Balkan aus. 1453 erobern die Osmanen unter Sultan Mehmed II. das byzantinische Konstantinopel. Nach dem Sieg über die Dynastie der Safawiden im Iran (1514) und nachfolgender Eroberung von Syrien, Ägypten und Irak holen die selbstbewussten, künstlerisch und kulturell ambitionierten osmanischen Sultane persische Meister der Miniaturmalerei (unter Zwang) in ihr Reich. Gleichzeitig wird vom Hof des Sultans aus eine eigene Schule für Kalligraphie und Illumination in Tâbriz gegründet.
Die osmanische Buchmalerei entwickelt sich sachlicher als die persische, interessiert sich, neben dem Geschehen im Sultanat, für Alltagskultur und das einfache Volk. Erst im 16. Jh. verwirklicht sie ihre Eigenart und ihren spezifischen Unterschied zur schwärmerischen persischen Malerei in Illustrationen zur Zeitgeschichte (Feldzüge, Feste, Chroniken) und in der Portraitkunst.
3.2. Hingabe und Vorbild
«Bedenkt man, dass Mehmet als Lehrbub von neun Jahren diesen Beruf begann, so bestand die hervorragendste Eigenschaft dieses Altmeister, der etwa hundertundzehn Jahre lang malte, bevor er blind wurde, in seiner Eigenschaftslosigkeit…. Wie jeder, so bildete auch er alle Dinge nach der Art der vielen älteren Meister ab, was ihn zum größten Altmeister machte. Seine Bescheidenheit, seine vollkommene Hingabe an die Kunst des Malens, durch die er Allah dienen wollte, hielt ihn stets von den Streitigkeiten fern, die in allen Buchmalerwerkstätten gang und gäbe sind und ließ ihn ebenso wenig trotz seines angemessenen Alters nach der Stellung des ersten Illustrators streben.» (S. 106)
Das Wort «Islam» bedeutet «Hingabe», gilt als Lebenseinstellung und charakterisiert treffend die Haltung der Künstler im Osten. Das Allgemeine hat stets Vorrang vor dem Besonderen, das Kollektiv vor dem Individuum. Die Buchmaler arbeiten, zusammen mit den Kalligraphen und Illuminatoren, in den streng hierarchisch organisierten nakkaşhane, den Malerateliers des Sultanhofes. Mit ihrer Tätigkeit sind sie die letzten in der Rangordnung, was häufig mangelnde Respektbezeugung der Umwelt zur Folge hat.
Künstlerisches Ziel ist die Nachahmung der Vorbilder, die Abbildung der Motive nach Art der ´alten Meister´, einhergehend mit der Vermeidung eines individuellen Stils. Das Malen ´aus der Erinnerung´ gilt als höchster Wert. In diesem Sinne wird dem Erblinden der Meister im Alter (aus Überanstrengung) besonderer Respekt entgegengebracht, gilt sie doch als Zeichen von äußerster Hingabe in der Erfüllung ihrer Aufgabe.
Die Werke werden nicht signiert, was ihre Zuordnung heute so schwierig macht. Erst ab dem 15. Jh. sind, durchsetzt mit Bescheidenheitsfloskeln, im Kolophon vereinzelt Angaben zum Namen des Kalligraphen verzeichnet. Die Maler werden jedoch nicht erwähnt, es sei denn, sie sind auch für den Text zuständig.
3.3 Geschichte und Imagination
«Versuche ich, mir ein Bild vorzustellen, das keine Ergänzung des erzählten ist, dann meine ich, es müsse am Ende zum Götzenbild werden. Denn wenn es keine Geschichte gibt, an die wir glauben, würden wir an das Bild selbst glauben. »
( S. 156)
Das Miniaturbild ist von jeher der Kalligraphie und der Arabesken-Verzierung untergeordnet und gilt als rein ornamentaler Bestandteil der Buchkunst.
Als weltliche Gattung und in der Darstellung des höfischen Lebens ist die Buchmalerei nicht mit religiösen Einschränkungen belastet. Die Bilder ordnen sich dem Text unter, gehen eine Allianz mit ihm ein. Das Ansehen eines Buchmalers ist von der inhaltlichen Nähe seiner Miniaturen zum Text abhängig. Statt persönlicher Erfahrung wird kollektives Wissen im Bild weitergegeben. Der Leser weiß, was er erwarten darf und ist in der Lage den Inhalt zu deuten. Dabei ist ein ausgeprägter Realismus in der Bearbeitung der Themen, die, ähnlich einer Reportage, über die Geschehnisse am Hof und die Taten der Herrscher berichten, verbreitet. Das hoch entwickelte islamische Schrifttum bestimmt mit seinem Formalismus die kollektive Wahrnehmung und hat, in dem es die Leserichtung von rechts (Vergangenheit) nach links (Zukunft) vorgibt, die Blickregeln für die Aufnahme von Bildern festgelegt.
Die frühen Buchmaler waren nicht für die Illustrierung des Korans sondern in erster Linie für naturwissenschaftliche Schriften und griechische Texte, die als Vorlagen schon häufig bebildert waren, zuständig. Außerdem illustrieren sie physikalische oder medizinische Werke, Fabeln, Tierbücher, Erzählungen, Chroniken, Berichte über Kriegszüge und Taten der Herrscher, Sagen und Märchen sowie Dichtung allgemein. Es werden auch Einzelblätter mit Miniaturen für Sammlungen und Alben hergestellt. Die Kunst der Miniaturmaler wird ebenso für Wandteppiche oder Wandgemälde eingesetzt.
3.4 Aufsicht und Ordnung
Das islamische Bild « zieht eine Horizontlinie, sieht die Welt wie Allah von oben und ist aus tiefem Schmerz heraus gemalt.» (S. 103/104)
In Rücksichtsname auf die Zweidimensionalität der Buchseite bieten die islamischen Künstler die durch ornamentale Elemente geordnete Aufsicht als Darstellungsweise an, die als alternative Bildauffassung, nicht als Zeichen von Rückständigkeit zu verstehen ist. Trotz Kenntnis verzichten die osmanischen Miniaturmaler weiterhin bewusst auf den Einsatz der Zentralperspektive und anderer illusionsbildender Effekte, wie Licht und Schatten, die Dreidimensionalität suggerieren konnten. Die Gleichzeitigkeit und das Nebeneinander der Figuren, Handlungen, Zeiten und Räume, die schematisiert fernöstlich anmutenden Gesichter und die friesartigen Figurenreihen, heben sich maßgeblich von der Darstellungsweise beispielsweise in der venezianischen Malerei ab. Der «Vogelblick» ist nie der des Betrachters und auch nicht der des Malers, sondern bietet einen überpersönlichen Standort, von dem aus die Welt für alle gleich sichtbar ist. Die Miniaturen befolgen das Prinzip der «kontinuierenden Bilderzählung», in dem sie die Lesehaltung zum Kriterium machen: Die zyklische Darstellungsweise lässt statt eines landschaftlichen oder architektonischen Raumes einen Erzählraum entstehen, die sich nicht nach der modernen Einheit von Zeit und Raum, wie sie die Perspektive voraussetzt, richten muss.
Sultan Mehmed II (der ´Eroberer´, 1451-1481), repräsentationsbewusster osmanischer Herrscher, versammelt hochrangige Künstler und Wissenschaftler um sich und beruft 1480 den venezianischen Maler Gentile Bellini (1429-1507) an den Istanbuler Hof, um sich von ihm portraitieren zu lassen. Andere westliche Künstler folgen ihm, hinterlassen aber nur geringe Spuren in der osmanischen Buchmalerei. Speziell die Portraitmalerei erlebt einen rasanten Aufstieg und bildet als Genre eine Adaption westlicher Kunst. Sie behält jedoch weiterhin ihren «osmanischen» Charakter. Das 16. Jh. stellt eine Übergangszeit zwischen Höhepunkt und Ende der osmanischen Miniaturmalerei dar, was sich anhand des folgenden Beispiels verdeutlichen wird.
4 Beispiel: Das «Buch Quintessenz der Historien». Eine osmanisch/persische Handschrift aus dem 16. Jh.
4.1 Beschreibung
Die Handschrift «Quintessenz der Historien» enthält einen überwiegend bildlich dargestellten, historisch-genealogischen Abriss der Geschichte seit Adam aus islamischer und osmanischer Sicht. Sie besteht aus 17 Seiten, geglättetes, beiges Papier ohne Wasserzeichen, als Schrift wurde Ta`liq eingesetzt, der Text ist in persischer Sprache verfasst. Die Maße betragen 27,50 cm Länge x 17,50 cm Breite. Der Erhaltungszustand ist nicht besonders gut, der Einband ist abgegriffen, eingerissen, teilweise wurmstichig mit Wasserflecken am oberen Rand. Im Innenteil ist auf den jeweiligen Gegenseiten Farbabdruck wahrzunehmen, die Blätter 5 und 6 sind an der Rahmenlinie eingerissen. Einige Gesichter in den Medaillons sind leicht verwischt, Kalifenköpfe auf Seite 8b sind später anscheinend weiß übermalt worden.
Der Umschlag ist ein schmaler, vermutlich europäischer, brauner Ledereinband mit Klappe nach osmanischer Art. In 46 Portraitmedaillons (Ø 3-4,3 cm) werden Adam sowie die Propheten und Herrscher aus persischen, mongolischen, arabischen und türkischen Dynastien gezeigt. Die osmanischen Sultane erscheinen lückenlos. Unverwechselbar ist die Handschrift durch zwei ganzseitige Portraits und einem Duzend persischer Kalligraphien. Hervorgehoben seien Adam, der Gabriel das Buch übergibt (Blatt 4b, im Folgenden nur die Blattnummerierung in Klammern) und Idris (5a), die Begleitfiguren haben. Kain wird vor einem durch schwarze Linien vom goldenen Hintergrund abgehobenen Feuer sitzend dargestellt (4b), die Propheten Mohammed (8b) und Joseph (7a) werden durch einen Flammennimbus betont. Die Abgebildeten sind, nach osmanischer Art, ganzfigurig im Schneidersitz oder kniend im Halb- oder Dreiviertelprofil dargestellt, vor teilweise punziertem (geprägtem), goldenem Hintergrund. Turban oder Teile der Kleidung ragen oft über den Kreisrand hinaus. Der Zyklus endet mit Sultan Mehmed III. (1595-1603) auf Blatt 15a. Dieser erscheint noch einmal ganzseitig auf einem goldenen Thron sitzend. (Größe: 18,2 x 9,8 cm, siehe Ab-bildung). Auf Blatt 16b ist das zweite Einzelportrait eingeklebt, dass sich durch ein ´respektvoll´ kleineres Format auszeichnet (15 x 9, 5 cm), aber in Komposition und Details Parallelen zum Portrait des Mehmed III. aufweist. Es zeigt einen jungen Prinz als Falkner. Muster (abgewandeltes Hatayî- Ornament) und Farben seiner Kleidung ähneln denen des Sultans.
4.2 Lokalisierung
Die osmanische Handschrift wird in der Sammlung der Markgrafschaft Baden- Baden als Kat. 314 geführt, wurde 1691 unnummeriert im Nachlassinventar des Markgraf Hermann aufgeführt, in der Inventarliste der »Türckischen Kammer« von 1722 als Nr. 241 verzeichnet und 1774 ebenso der Karlsruher Hofbibliothek zugeordnet. Die Badische Landesbibliothek Karlsruhe, wo sie aufbewahrt wird, führt sie nunmehr unter der Signatur Hs. Rastatt 201. Sie ist vermutlich Teil der «Türkenbeute» des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden (1655-1707, auch «Türkenlouis» genannt), der im 17. Jh. als kaiserlicher General-Feldmarschall die osmanischen Truppen vor den Toren Wiens bekämpfte. Es existiert kein Faksimile, die Handschrift ist nach Anmeldung in der Landesbibliothek zu besichtigen
Die Zuordnung der »Osmanischen Weltgeschichte mit Portraits«, wie sie auch genannt wird, bleibt vage. Nahe liegend ist die Vermutung, dass sie in den osmanischen Buchwerkstätten von Bagdad entstanden ist, da zu gleicher Zeit dort mehrere ähnliche Genealogien hergestellt wurden. Sie wird auf die Jahre 1595-1597 datiert und fällt damit in die Blütezeit der osmanischen Miniaturmalerei, das späte 16. Jahrhundert.
Der ursprüngliche Besitzer, über den es keine Auskünfte gibt, muss aufgrund der Thematik aus dem engsten Umkreis des Herrschers stammen oder eine hoch-rangige Person gewesen sein. Die Handschrift weist Ähnlichkeiten mit den drei Werken auf, die der Hofchronist Lokman bin Seyyid el-Aşurî´s (Istanbul, †1601/1602) unter dem Titel «Zübdet et-tevarih» (Quintessenz der Historien) in der Zeit des Regiments von Murat III. (1574-1595) verfasst hat. Unter gleichem Titel hat Mustafa Ali (1541-1599) im Auftrag des Sultans ein arabisches Werk übersetzt. Titel und Inhalt sind verwandt, aber nicht identisch. Lange wurde versucht das vorliegende Werk diesen Autoren zuzuordnen, was auch in den älteren Ausgaben von Katalogen und Verzeichnissen sichtbar wird. Der Text muss also als anonym angesehen werden. Die 12 Kalligraphien ( 16a, 17a, 17b, 12) sind teilweise von als bekannt geltenden persischen Kalligraphen signiert. Der Maler ist in der Handschrift, wie damals üblich, nicht benannt. Unklar bleibt auch, ob alle Portraits aus einer Hand stammen. Die Ähnlichkeit der Linienführung, die Farblichkeit und die Sorgfältigkeit der Kleider und Muster sprechen dafür. Der farbliche Hintergrund und die leeren Doppel- Kartuschen (wie auch auf Blatt 16) am oberen Rand sind typischer Rahmen für Sultansbilder, wie er seit Meister Osman, der 1579 eine Portraitserie für Sultan Murat III. gefertigt hat, eingesetzt wurde.
4.3 Besonderheit und Zeitzeugnis
Die Handschrift wird als Glanzstück der Sammlung Rastatt geführt. Hans Georg Majer bezeichnet sie nach wie vor als »rätselhaft»., betont aber den besonderen Rang der Handschrift, indem er sie als eine frühe Version ihrer Gattung (Genealogie) bezeichnet. Sie steht in einer Tradition mit anderen Dokumenten kollektiver Repräsentationsformen einer Dynastie wie das frühe Shânâme (Königsbuch) und das Silsilenâme (Kettenbuch, Stammtafel), welche von offiziellen Hofchronisten exklusiv für den Hazine, den inneren Schatz des Sultanshofes angefertigt wurden. In ihrer Form von geschriebener Erzählung, kombiniert mit nicht-narrativen ikonischen Illustrationen, ist diese Art der Darstellung der europäischen Historiographie-Tradition näher als der islamischen. Das große Interesse der Herrscher an bildlicher Legitimation war in der islamischen Welt ungewöhnlich, wenn nicht einmalig und stand im Widerspruch zu orthodoxen Vorstellungen. Die Beliebtheit der Genealogien ist vermutlich auch der Faszination der neu erworbenen Portraitmalerei geschuldet, die durch westliche, physiognomisch- ausgeprägte Portraits angefacht wurde und der Eitelkeit und dem Darstellungsbedürfnis der Herrscher diente. Gleichzeitig waren die Chronologien und Genealogien Zeugnis des steigenden Bedarfs an Dokumentationen im Osmanischen Reich, welches beispielsweise in der Produktion von Stadt-, Land- und Seekarten seinen Ausdruck fand.
Der unbekannte Meister des vorliegenden Werkes beweist mit der Darstellung Jesu das Bestreben um Ähnlichkeit mit Vorbildern sowie gleichzeitig eine kulturelle Offenheit, die dem Zeitgeist und dem Selbstbewusstsein des Osmanischen Reichs entsprach. Die gleichberechtigte Einbeziehung der religiösen «Vorfahren» und vorosmanischen Herrscher kann als Zeichen der Reflektion langsam schwindender Allmacht der Osmanen gesehen werden, die am Ende des 16. Jh. eine gewisse ideologische Umorientierung – von der Betonung der militärischen Schlagkraft ´zurück´ zum Islam - zur Folge hatte.
Das sowohl thematisch als auch gestalterisch herausragende Bild des jungen Prinzen mit dem Falken (16b) unterliegt verschiedenen Deutungen. Einig ist man sich darin, dass es sich um einen Prinzen und wahrscheinlich um einen der sechs Söhne Mehmeds III. handelt. Aufschlussreich ist auch das ganzseitige Bildnis Mehmeds III. (15b), eines der frühesten Abbildungen eines regierenden Sultans, das ihn, außerhalb einer historischen Szene, auf einem goldenen Thron sitzend darstellt. Die Übereinstimmung der Gesichtszüge von Mehmed III. mit anderen zeitgleichen Portraits ist sichtbar. Aufgrund seiner gelungenen Komposition und den leuchtenden Farben gilt es als eines der schönsten Sultanportraits der osmanischen Miniaturmalerei.
5 Zusammenfassung,
«Allah ist der Osten wie der Westen. Allah bewahre uns vor dem Wunsch, rein und unvermischt zu sein.» (S. 225)
Anhand des Beispiels verdeutlicht sich die Öffnung der osmanischen Miniaturmalerei gen Westen, die letztendlich dazu führt, dass sie ihre Eigenart verliert und sich dem Vergleich preisgibt. Trotzdem blieb die türkische Miniaturmalerei, im Gegensatz zur westlichen, bis zur endgültigen Trennung von Text und Bild im 18. Jh. erhalten.
Vom Ursprung her lassen sich östliche und westliche Miniaturmalerei aufgrund genuin verschiedener Voraussetzungen nicht auf Augenhöhe und nicht aus eurozentristisch-gewohnter ´Perspektive´ vergleichen. Östliche Miniaturen vermeiden die Darstellung Gottes, sind weiterentwickelter (Kon-)Text, deren Gehalt auf Imagination und Rückgriff auf das kollektive Gedächtnis beruht. Westliche Miniaturen sind aus dem Gottesbild entstanden und erheben, spätestens seit der Renaissance, ihren Anspruch aus der Abbildung der Wirklichkeit der Welt, der sich im Einzelbild mit individualistischer Künstler-Prägung manifestiert. Darstellung und Selbstdarstellung gehen im westlichen Bild eine Symbiose ein, die in ihrer Dominanz und ihrem Allgemeingültigkeitsanspruch auch als Hochmut begriffen werden kann, während die östliche Bildkultur, dem Text Priorität einräumend, hinter ihren Vorbildern verborgen bleibt und sich so in Bescheidenheit übt. Der in der Renaissance geprägte subjektive Standpunkt wird als gegeben angenommen, und dabei übersehen, dass es andere Erzählweisen gibt, die nicht das, was das Auge sieht zum Maßstab nehmen, sondern was der Geist wahrnimmt und die Erinnerung zeigt. Die Entdeckung des «Naturalismus» in der Renaissance hat die Bildauffassung in Okzident und Orient weit voneinander entfernt. Möglicherweise hat der Bruch der abstrakten Malerei mit der als Akademismus bezeichneten Naturtreue, Anfang des letzten Jahrhunderts, neue Maßstäbe gesetzt, die eine größere Offenheit für die ornamentale Kunst des Islam zulässt. Künstler wie Matisse, Mondrian, Kadinsky und Klee, die sich von islamischer Bildkunst faszinieren ließen und Autoren wie Pamuk, die sich sowohl östlicher wie westlicher Phänomene annehmen, beweisen anschaulich, wie kulturelle Differenzen kreativ aufgearbeitet und sowohl Klischees als auch Vorurteilen entgegengewirkt werden kann.
Überaus interessante Aspekte wie die Entstehung des Ikonoklasmus, der byzantinische Bildkult, der reformatorische Bildersturm, der Mythos Renaissance, Orientalismus und die Rezeption islamischer Kunst im Europa des 16. Jh. sowie zahlreiche bewundernswerte, historische Beispiele der Buchmalerei wurden zugunsten der Übersichtlichkeit nicht weiter behandelt, bilden aber den historischen und gedanklichen Hintergrund für die vorliegende Arbeit.
Literatur
Atasoy, Nurhan., Çağman, Filiz, Turkish Miniature Painting, 1.Auflage, Istanbul 1974
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Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.), Die Karlsruher Türkenbeute, Karlsruhe, 1997
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